Die Vergessene Welt by Sir Arthur Conan Doyle

Die Vergessene Welt by Sir Arthur Conan Doyle

Autor:Sir Arthur Conan Doyle [Doyle, Sir Arthur Conan]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Der Held des Tages

§

Lord John Roxton hatte recht gehabt mit seiner Vermutung:

der Biß der widerlichen Kreaturen, die über uns hergefallen

waren, war giftig. Am nächsten Morgen hatten sowohl

Summerlee als auch ich starke Schmerzen und hohes Fieber.

Challengers Knie war dermaßen dick angeschwollen, daß er

nur mühsam hinken konnte. Wir mußten deshalb den ganzen

Tag über im Lager bleiben. Lord John beschäftigte sich damit,

unsere dornigen Schutzhecken in Höhe und Tiefe zu

verstärken, wobei wir ihm halfen, soweit wir dazu fähig

waren.

Ich erinnere mich, daß ich während des ganzen Tages das

Gefühl nicht loswerden konnte, wir würden beobachtet. Aber

ich hatte keine Ahnung, von wem und von welcher Seite aus.

Dieser Eindruck wurde so stark, daß ich schließlich Professor

Challenger davon erzählte. Er führte ihn jedoch auf den

fieberhaften Erregungszustand meiner Nerven zurück. Immer

wieder blickte ich in die Runde, überzeugt, plötzlich irgend

etwas zu entdecken. Aber ich sah nur das dunkle Gewirr der

Hecken und den tiefen Schatten der hohen Bäume, die sich über

uns wölbten. Ich mußte an den indianischen Aberglauben von

Curupuri, dem schrecklichen Dämon des Urwaldes, denken.

Jetzt konnte ich mir vorstellen, wie seine grauenhafte

Erscheinung diejenigen verfolgte, die es gewagt hatten, in

seinen entlegensten und geheiligten Zufluchtsort einzudringen.

In dieser Nacht – unserer dritten im Maple-White-Land –

erwies es sich, wie klug es von Lord John gewesen war, sich mit

der Absicherung unserer Behausung so viel Mühe zu geben.

Wir schliefen neben unserem langsam verglimmenden Feuer,

als wir durch ein Gebrüll geweckt wurden, wie ich es

fürchterlicher nie gehört habe. Es kam aus einer Entfernung

von ein paar hundert Metern, war ohrenbetäubend und voll

Angst und Qual. Wir hielten uns die Ohren zu, um diesen

nervenzermürbenden Schrei nicht länger mit anhören zu

müssen. Die Not, die darin mitschwang, ließ mir den kalten

Schweiß ausbrechen und krampfte mir das Herz zusammen.

Das

ganze

Elend einer

gemarterten

Kreatur, ihre

überwältigende Anklage, ihre qualvolle Not, das alles war

verdichtet und konzentriert in diesem einen furchtbaren Schrei.

Und dann erscholl neben diesem durchdringenden Ton noch ein

anderer, ein leises Gelächter aus gewaltiger Brust, ein

grollendes, kehliges Gurgeln voller Vergnügen. Drei bis vier

Minuten lang dauerte dieses schauerliche Duett. Das Laubwerk

raschelte von den aufgeschreckten und hochfliegenden Vögeln.

Dann verstummte das Geschrei ebenso plötzlich, wie es

begonnen hatte. Wir saßen noch lange reglos. Lord John warf

ein paar Äste aufs Feuer; der rote Schein beleuchtete die

gespannten Gesichter meiner Gefährten und flackerte über die

dicken Äste über uns.

»Was war das?« flüsterte ich.

»Das werden wir morgen erfahren«, sagte Lord John. »Es

war ganz in unserer Nähe – nicht weiter als bis zum Rand der

Lichtung.«

»Wir waren dazu auserkoren«, sagte Professor Challenger

mit merkwürdig feierlicher Stimme, »eben eine prähistorische

Tragödie mit anzuhören. Ein Trauerspiel, wie es sich am Ufer

einer Tränke im Jurazeitalter abgespielt haben mag, in dessen

Verlauf der größere Drachen den schwächeren abgewürgt

hat. Der Mensch kann Gott danken, daß er erst am Ende der

Schöpfungsgeschichte auf der Bildfläche erschienen ist. In der

Urzeit waren Mächte am Werk, gegen die er mit seinem Mut

und seinem Erfindungsgeist machtlos gewesen wäre. Was

hätten seine Schleuder, sein Speer oder sein Pfeil gegen Kräfte

ausrichten können, wie sie eben gewütet haben? Selbst mit

einem modernen Gewehr ist man gegen derartige Monster

nicht gefeit.«

»Da tun Sie aber meinem Freund hier unrecht«, sagte Lord

John und strich liebevoll über den Lauf seiner

Elefantenbüchse.

Professor Summerlee hob die Hand.

»Ps-sst!« zischte er.

Aus der Stille erklang ein schweres, gleichmäßiges

Stampfen.



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